Beziehung der Maximalkraft zur sportlichen Leistung im Gewichtheben
von Dr. Ingo Sandau
Theoretischer Hintergrund und Anliegen
Gewichtheben ist keine reine Maximalkraftsportart. Die sportliche Leistung wird zusätzlich über das Vermögen eine hohe mechanische Leistungsabgabe zu generieren und die sportliche Technik determiniert. Das Gewichtheben ist deshalb als eine Schnellkraftsportart anzusehen bei der die Maximalkraft einen entscheidenden Anteil an der sportlichen Leistung darstellt. Wie hoch dieser explizite Zusammenhang zwischen der Schnellkraft und der Maximalkraft ist, wurde bislang nicht eindeutig quantifiziert. Die Maximalkraft ist dabei von der Körperhöhe und vom Körpergewicht abhängig, weshalb bei Zusammenhangsanalysen diverse Skalierungs-/Relativierungsmethoden genutzt werden (Skalierung bezüglich des Körpergewichts/mageres Körpergewicht [lean body mass], allometrische Skalierung, Skalierung bezüglich der Körperhöhe, Skalierung über Sinclair-Formel). Diese Verfahren versuchen absolute Kraftwerte über einen Faktor um den Einfluss der anthropometrischen Abhängigkeit zu korrigieren.
Das Anliegen der Autoren ist es, den Zusammenhang zwischen der sportlichen Leistung im Gewichtheben und der dynamischen sowie isometrischen Maximalkraft anhand absoluter oder relativer (skalierter) Bezüge zu charakterisieren. Zudem soll überprüft werden, ob bei den vorhandenen Zusammenhängen Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestehen.
Untersuchung
Die Wissenschaftler führten in einem amerikanischen Trainingszentrum mit Junioren- und Seniorenathleten ca. 2 Wochen vor dem Hauptwettkampf dynamische (1RM Kniebeuge) und isometrische (Züge aus dem Hang [midthigh isometric pull] auf einer Kraftmessplattform) Maximalkrafttests durch. Zudem wurden alle Athleten bezüglich Körpergewicht, Körperhöhe und Körperfettanteil vermessen. Die gemessenen Maximalkraftwerte (Last [kg] in der Kniebeuge, Kraft [N] in den Zügen) setzten sie absolut und relative zu den Leistungen der Wettkampfübungen über eine Korrelationsanalyse in Beziehung (je höher der Korrelationskoeffizient "r" auf einer Skala zwischen 0 bis 1 ist, desto stärker ist der Zusammenhang).
Ergebnisse und sportpraktische Ableitung
Die Autoren konnten nachweisen, dass erwartungsgemäß das Körpergewicht in einem hohen Zusammenhang mit der sportlichen Leistung im Reißen und Stoßen steht (Abbildung 1). Je schwerer die Athleten sind, desto kräftiger sind sie auch aufgrund ihrer größeren Muskelmasse. Weiterhin stehen auch die absoluten Maximalkraftwerte der dynamischen und isometrischen Messungen (ohne eine Skalierung hinsichtlich Körperhöhe und/oder Körpergewicht) in einem sehr hohen linearen Zusammenhang zu den gehobenen Lasten im Reißen und Stoßen. Selbst wenn die skalierten Maximalkraftwerte (allometrisch und Sinclair) zu den skalierten Wettkampfleistungen in Bezug gesetzt werden bleibt der große lineare Zusammenhang für die sportliche Leistung im Gewichtheben bestehen. Das bedeutet, dass unabhängig von Körperhöhe und Körpergewicht die Maximalkraft eine entscheidende Komponente im Gewichtheben ist. Zudem zeigt der lineare Zusammenhang, dass die Maximalkraft im Gewichtheben eine zu maximierende Größe darstellt. Bei Frauen wurden insgesamt geringere Zusammenhänge zwischen der Maximalkraft und der Wettkampfleistung gefunden.
Abbildung 1
Zur Steigerung der Wettkampfleistung eines Gewichthebers ist es deshalb unumgänglich die Maximalkraft zu steigern. Nur größere Kraftfähigkeiten bspw. in Form höherer Lasten in den Kniebeugen führen zu einem Zuwachs in der Zweikampfleistung (Abbildung 2). Eine Verbesserung der sportlichen Technik kann bei fortgeschrittenen Gewichthebern kaum noch zu einer relevanten Erhöhung der sportlichen Leistung beitragen. Vergleichbar zu anderen azyklischen Schnellkraftsportarten ist die sportliche Technik im Gewichtheben nach einigen Jahren so stabil, dass überhaupt nur geringfügige Verbesserungen im Bewegungsablauf möglich sind. Bei gut trainierten Gewichthebern sollte der Trainingsschwerpunkt deshalb vorrangig auf die Entwicklung von Kraftfähigkeiten gelegt werden. Die sportliche Technik gilt es bei einem vergleichsweise geringeren Trainingsumfang zu stabilisieren, zu vervollkommnen und den gesteigerten Kraftfähigkeiten anzupassen.
Abbildung 2
Rezension
Die Autoren belegen in ihrem 2005 veröffentlichten Artikel den hohen Zusammenhang (r > 0,9) zwischen der Maximalkraft – als Ausdruck des absoluten 1RM [kg] in den Kniebeugen – und der sportlichen Leistung im Gewichtheben (1RM [kg] in den Wettkampfübungen Reißen und Stoßen). Dieser Zusammenhang ist in Deutschland seit den 80er Jahren ebenfalls bekannt und findet sich in den aktuell gültigen Empfehlungen zu Bestwerten im Trainingsmittelkatalog des IAT/BVDG wieder. Bspw. entsprechen dort die empfohlenen Prozentangaben (zur Wettkampfziellast im Stoßen) für die Kniebeuge hinten im Leistungsbereich bei guter sportlicher Technik den korrelativen Zusammenhängen der vorgestellten Studie (siehe linearer Zusammenhang in Abbildung 2). Überdies hinaus sind im Trainingsmittelkatalog auch für andere Trainingsübungen korrelativen Zusammenhänge als relative Bezüge angegeben. Eine Umrechnung dieser Prozentbezüge in absolute Lasten ermöglicht deshalb grundlegend eine zielgerichtete Planung und Realisierung von notwendigen Lasten in einzelnen Trainingsübungen („Zubringerübungen“) zur Absicherung der Wettkampfziellast. Das hinter diesen Zusammenhängen stehende „Maximierungsprinzip“ für die Maximalkraft ist jedoch stets in Einklang mit der notwendigen Transmutation in eine gewichtheberspezifische Schnellkraft durch ein geeignetes Schnellkrafttraining zu sehen, da wie eingangs erwähnt das Gewichtheben eine Schnellkraftsportart ist (wenn auch mit verhältnismäßig geringer Bewegungsgeschwindigkeit).
Vorsicht ist geboten, wenn die vorgestellten Ergebnisse auf andere Schnellkraftsportarten unreflektiert übernommen werden. Es gilt als nachgewiesen, dass die Erhöhung der Maximalkraft für alle Schnellkraftsportarten eine grundlegende Komponente zur Verbesserung der Schnellkraft ist. Je größer allerdings der Anteil der Bewegungsgeschwindigkeit in der Ausprägung der sportartspezifischen Schnellkraft wird, desto weniger spielt die „Maximierung“ der Maximalkraft eine Rolle, um die Schnellkraft weiter zu entwickeln. In Schnellkraftsportarten mit großer Bewegungsgeschwindigkeit ist deshalb ein individuell „optimales“ Maximalkraftniveau ausreichend (auch wenn dieses optimale Niveau zum Teil sehr hoch ist), da im Hochleistungsbereich kein linearer Zusammenhang zwischen der Maximalkraft und der Wettkampfleistung (Schnellkraft) besteht. So benötigt ein 20m-Kugelstoßer ca. 200kg als „optimales“ Maximalkraftniveau im Bankdrücken. Er wird jedoch nicht wesentlich weiter stoßen, wenn er die Leistung im Bankdrücken auf 250kg steigert, da seine spezifische Schnellkraft zu einem größeren Teil von der Bewegungsgeschwindigkeit abhängig ist als das für den Gewichtheber der Fall ist.
Stone, M. H. et al. (2005). Relationship of maximum strength to weightlifting performance. Medicine and Science in Sports and Exercise, 37 (6), 1037-1043. [LiDa]