Effekte eines isokinetischen versus isotonischen Schultergelenktrainings auf die 2D Kinematik und die Geschwindigkeit der Hantel während des Standumsetzens und Standreißens von fortgeschrittenen jugendlichen Gewichthebern
von Dr. Ingo Sandau
Theoretischer Hintergrund und Anliegen
Das Gewichtheben besteht aus den beiden Wettkampfübungen Reißen und Stoßen. Die benötigen hohe Kraftwerte zur Bewältigung der Wettkampflasten, welche aus den unteren und oberen Extremitäten erbracht werden. So wird eine gültige Hebung sichergestellt. Während der Hebung bestehen Anforderungen an die Muskeln des Schultergelenks. Je nach Bewegungsphase (Zug, Umgruppieren, Abbremsen) sind unterschiedliche Schultergelenksmuskeln (Rotatorenmanschette) aktiv. Obwohl die Rotatorenmanschette im Gewichtheben beansprucht wird und hier oft Verletzungen auftreten können, wird dieser Muskelgruppe im Training wenig Beachtung geschenkt. Ein gezieltes Training zur Kräftigung der Rotatorenmanschette sollte deshalb aus präventiven und leistungsfördernden Gesichtspunkten durchgeführt werden.
Das Anliegen der Autoren ist es, ein gezieltes Krafttraining der Rotatorenmanschette durchzuführen und den Einfluss auf das Standreißen und Standumsetzen zu prüfen.
Untersuchung
24 männliche Gewichtheber (Alter 14,5 Jahre) wurden in eine isokinetisch trainierende (maschinengestützte Bewegung mit konstanter Bewegungsgeschwindigkeit) und eine isotonisch trainierende (herkömmliches Krafttraining mit konstanter Zusatzlast ohne Kontrolle der Bewegungsgeschwindigkeit) Gruppe aufgeteilt. Beide Gruppen trainierten über 8 Wochen (24 Trainingseinheiten) die Schulterinnenrotation und Schulteraußenrotation. Das isokinetische Training wurde im Verlauf der Intervention mit steigenden Bewegungsgeschwindigkeiten (120 °/s, 240 °/s, 360 °/s) durchgeführt. Im isotonischen Krafttraining wurde für die gleiche Bewegung eine konstante Last von 50 % des Oberarmgewichts gewählt. Es wurden ein Eingangstest zu Beginn der Intervention sowie zwei Ausgangstests (1. Test nach 8 Wochen, 2. Test nach 12 Wochen [4 Wochen ohne Training]) durchgeführt. Überprüft wurde der Einfluss des Trainings auf die vertikale Hantelgeschwindigkeit in der Beschleunigungsphase und auf die vertikale Hantelgeschwindigkeit (Senkgeschwindigkeit) in der Umgruppierphase für das Standreißen und das Standumsetzen.
Ergebnisse und sportpraktische Ableitung
Die Autoren konnten aufzeigen, dass sich ein gezieltes Training der Rotatorenmanschette auf die vertikale Hantelgeschwindigkeit im Standreißen und Standumsetzen auswirkt. Nach dem 8-wöchigen Training konnte im Standreißen und im Standumsetzen eine höhere vertikale Hantelgeschwindigkeit in der 2. Zugphase für beide Trainingsarten (isokinetisch und isotonisch) nachgewiesen werden. Im Umgruppieren sind dagegen unterschiedliche Effekte vorhanden. Während sich im Standreißen bei beiden Gruppen die maximale Senkgeschwindigkeit der Hantel im Umgruppieren verringert, zeigt sich im Standumsetzen eine geringere Senkgeschwindigkeit für die isotonische Gruppe gegenüber einer höheren Senkgeschwindigkeit für die isokinetische Gruppe. Eine höhere vertikale Geschwindigkeit nach oben ist ein Ausdruck für eine höhere Kraftwirkung in der Beschleunigungsphase. Die geringere Senkgeschwindigkeit nach unten ist ein Indiz für ein früheres Abbremsen der Hantel. Ein Krafttraining der Rotatorenmanschette kann demzufolge die biomechanische Struktur der Hebung im Standreißen und Standumsetzen verbessern und wirkt sich somit positiv auf die Höhe der bewältigten Hantellast aus. Zudem konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ein „Absetzen“ des Trainings bereits nach 4 Wochen zum Verlust des Trainingseffekts führt. Wenn ein Krafttraining der Rotatorenmanschette genutzt wird, sollte das Training deshalb methodisch gut geplant (bspw. unterschiedliche Bewegungsgeschwindigkeiten) und über den gesamten Makrozyklus angewandt werden. Nur so ist der Trainingseffekt bis zum Hauptwettkampf vorhanden.
Abbildung 1 - Standreißen
Abbildung 2 - Standreißen
Abbildung 3 - Standumsetzen
Abbildung 4 - Standumsetzen
Rezension
Die Autoren belegen, dass ein gezieltes Training der Rotatorenmanschette (Innenrotation- und Außenrotation des Oberarms im Schultergelenk) das Potenzial besitzt, bei jugendlichen Gewichthebern die Beschleunigungs- und Umgruppierphase im Standreißen und Standumsetzen positiv zu beeinflussen. Den positiven Effekt versuchten die Wissenschaftlicher über eine veränderte vertikale Hantelgeschwindigkeit in der Beschleunigungs- und Umgruppierphase nachzuweisen. Diese methodische Herangehensweise ist allerdings nicht optimal, da für die Beschleunigungsphase der Einfluss der unteren Extremitäten nicht kontrolliert wurde. In der Beschleunigungsphase übertragen die Arme lediglich die Kraft aus den unteren Extremitäten auf die Hantel, weshalb der Einfluss der Rotatorenmanschette für die vertikale Beschleunigung in der 2. Zugphase gering ist. Eine höhere vertikale Hantelgeschwindigkeit ist vielmehr auf das trainingsbedingt höhere Kraftniveau der unteren Extremitäten zurückzuführen. Die Senkgeschwindigkeit der Hantel in der Umgruppierphase ist demgegenüber ein guter Indikator für die Arbeit der oberen Extremitäten (u.a. die Rotatorenmanschette). Eine geringere Senkgeschwindigkeit könnte bedeuten, dass das Training der Rotatorenmanschette die Armzug/Armdruck-Bewegung der oberen Extremitäten im Umgruppieren verbessert hat und sich der Sportler schneller unter die Hantel begibt bzw. die Hantel länger nach oben treibt. Damit „gewinnt“ der Sportler Zeit und ist frühzeitiger unter der herabfallenden Last, sodass er sie schneller abbremsen kann. Aufgrund des geringen Alters der Sportler kann dieses Ergebnis aber auch bedeuten, dass sich die Sportler „lediglich“ sporttechnisch verbessert haben und das Umgruppieren effektiver ausführen. Eine Verbesserung der sportlichen Technik ist prädestiniert für diesen Altersbereich. Demzufolge ist erneut nicht klar trennbar, was die Ursache für dieses Ergebnis ist. Unabhängig der angemerkten Limitierungen bleibt zu hinterfragen, inwieweit sich die positiven Ergebnisse von den „Standübungen“ auf die Wettkampfübungen übertragen lassen.
Ein gezieltes Training der Rotatorenmanschette besitzt aufgrund der Arbeitsweise der oberen Extremitäten im Umgruppieren (Armzug/Armdruck-Bewegung) das Potenzial die Bewegungsausführung im Reißen und Umsetzen zu verbessern. Damit der Einfluss eines Trainings für die Rotatorenmanschette klar herausgestellt werden kann, sollte zukünftig die Untersuchung in den Wettkampfübungen bei Elite-Gewichthebern durchgeführt werden. Fortgeschrittene Gewichtheber besitzen eine sehr stabile sportliche Technik, weshalb diesbezüglich kein Einfluss auf das Ergebnis zu erwarten ist. Zudem ist es ratsam, neben der Senkgeschwindigkeit weitere Parameter der Hantel- und Körperbewegung (bspw. Treibstrecken der Hantel, Bewegung des Körperschwerpunktes) zu analysieren. Somit kann die Wirkungsweise eines Trainings der Rotatorenmanschette detaillierter analysiert werden.
Rahim, A. M., Mohamed, W. I. & Shaharudin, S. (2017). Effects of isokinetic versus isotonic training of shoulder joint on 2d kinematics and
barbell velocity during power clean and power snatch of advanced level of adolescents weightlifters. International Journal of Sports Science, 7 (3), 144-150. [LiDa]